Gefühlte 3 Millimeter

Worum geht es hier überhaupt

In dieser Rubrik meiner Internetseite geht es ums Schreiben. Genau genommen folge ich Edmund de Waal, der in seinen Romanen dazu auffordert, dass Keramiker endlich anfangen sollen, ihre Arbeit in Sprache verständlich zu machen.

Offen gestanden ist es ein Schreiben gegen einen Widerstand. Es fühlt sich an wie ein aufgespannter Regenschirm, hinter dem ich mich schütze gegen den fliegenden Regen aus Unkenntnis, Vorurteilen und Vermutungen. Wenn ich hier in der Abendsonne in meinen einfachen Laptop Texte eintippe, ergibt es für mich Sinn, die Ergebnisse meiner Gedanken zusammenzufassen, und ich hoffe, dass ich damit einigen Kolleginnen eine Freude mache.

Besserwisser gibt es viele, Bessermacher nur sehr wenige
— Guda, Bern

https://de.wikipedia.org/wiki/Bernard_Leach

Wie Bernard Leach in seinem Text “Towards a Standard” es beschreibt, sind die Mehrzahl der Töpfer:nnen heute als Designer und Hersteller unserer Sachen in der Werkstatt den ganzen Tag allein. Dabei ist diese Tätigkeit niemals langweilig, weil angetrieben von einer einzigen Vorstellung: Dinge zu schaffen, die der schärfsten Kritik standhalten, nämlich der Berührung durch die menschliche Hand-

Ich versuche zu beschreiben, wie es mir dabei ergeht, weil ich annehme, nicht allzu verschieden zu sein von meinen Kolleg:nnen. Während ich also die ganze Zeit immer neue Handgriffe erfinde, weil etwas nicht so ist, wie ich es haben möchte, steht mein Denken nicht still. Mein Verstand schläft nicht. In meinen Aufzeichnungen geht es nicht in erster Linie um meine eigene Arbeit, sondern um die Leistungen der Keramiker:nnen ganz allgemein überall auf dem Planeten Erde. Es sind Betrachtungen, die manchmal sehr abstrakt scheinen können und um das Thema Handwerkskunst kreisen.

Es ist mir ein Rätsel, warum wir so wenig darüber wissen, wie die Welt in der wir leben gemacht ist. Immer wieder versuche ich mir zusammenzureimen, warum Menschen so achtlos mit allen Dingen umgehen. Warum sie sich von Moden von einem Tag auf den anderen von ihrer Lieblingsfarbe verabschieden, und ihre besten Wollpullover entsorgen. Und ja, ich bin mir dessen bewusst, dass ich einen Tropfen Wasser in die Wüste lege. Aber, wie meine Bekannte Theologin Frau Dr. Ines Knoll sagte: wir dürfen diese digitale Welt nicht dem Chaos überlassen!

Es geht mir eigentlich darum, dass andere auch auf den Gedanken kommen, dass unser derzeitiges Leben an seine Grenzen gestossen ist, wir müssen anders leben. Die Gletscher schmelzen, unsere Trinkwasserreserven sind in Gefahr, Dürrekatastrophen machen Landstriche unbewohnbar, die Meeresspiegel steigen, jeden Tag sterben 150 Tierarten aus.

Slow down- just do it

Für mich persönlich geht es durch Entschleunigung. Erst einmal nachdenken, was man denn eigentlich gewinnt durch die Beschleunigung.. Was macht meine Freundin mit der gesparten einen Minute, wenn sie mit ihrem riesigen Wagen durch die Ortschaft brettert? Eine Minute, in der sie vollgepumpt mit Adrenalin erst einmal auf einem Parkplatz herumsitzt und studiert, was sie da eigentlich wollte.

Scherz beiseite. Als denkender und fühlender Mensch faszinieren mich kleine Dinge. Wissen, wie etwas funktioniert ist wichtig bei Maschinen. Wenn ich frage, wie ein Apfel entsteht, und was für Pflege ein Baum benötigt, bekomme ich leicht Auskunft. Aber auf die Frage, wie eine kleine Grabbeigabe aus der Römerzeit hergestellt wurde, bekomme ich keine. Ich muss jahrelang die unglaublichsten Reisen unternehmen, die unterschiedlichsten Techniken sehen und selbst ausprobieren, bis ich halbwegs eine Ahnung bekomme, wieviel Wissen notwendig ein Ägypter vor 4500 Jahren hatte. Solche oftmals türkis grün glasierten Schalen stehen heute in den Sammlungen der grossen Museen. Sie gleichen einer einfachen Müslischüssel, wie wir sie heute in jedem Supermarkt finden. Allerdings weiss man, dass dazumal daraus Wein getrunken wurde.

In einem Gespräch mit meiner Tochter Viola, die an der Uni Genf Psychologie mit Schwerpunkt Forschung studiert, bemerke ich einen Zusammenhang zwischen dem grossen Bereich der Emotionen, und dem menschlichen Bewegungsapparat. Sofort stelle ich eine Verbindung mit dem kleineren Bewegungskörper nämlich unserer Hand her, und über den Zusammenhang zwischen den Emotionen, also Gefühlen, und der Keramik-Arbeit. Wie Bernard Leach auch schrieb: one hand one brain. Das habe ich schon in einem früheren Blog untersucht

Selbstverständliches hat keinen Wert

Fingerspitzengefühl zu bekommen dauert Jahre. Einen Geigenbogen gekonnt über die Seiten eines Musikinstrument zu führen erlernt niemand in ein paar Stunden. Übertragen auf die Gegenstände aus Ton wäre es an der Zeit, dass sich Wertvorstellungen der Wirklichkeit annähern. Und die ist meiner Meinung nach total verschoben. Und zwar bei vielen Dingen. Und erstaunlicher Weise haben die sozusagen “wertlosen” Dinge sehr oft einen gemeinsamen kleinsten Nenner: die Sorgfalt. Unser westliches Denksystem ist überlässt Tätigkeiten, die sehr grosse Sorgfalt erfordern dem Zufall. Kleine Kinder oder Kranke und Schwache zu versorgen ist “selbstverständlich”. Hat keinen Wert. Auf Französisch übersetzt heisst das, “ça va de soi”, also “es geht ganz von alleine”, also ohne Menschen. Der Mensch verschwindet quasi von der Bildfläche.

Handwerker sind bescheiden

Eine der besonderen Eigenschaften von Handwerkern ist, dass sie sehr schnell eigentlich ZU bescheiden werden. Wer hunderte Male gescheitert ist bei der Ausführung eines sehr unbedeutenden Gegenstandes, der gibt irgendwann einmal zu, dass er nicht so grossartig ist, wie er von sich geglaubt hat. Die vielen Randbedingungen beim Herstellen eines wirklich einfachen Bechers auf der Töpferscheibe, lassen den tollsten Superhelden sehr schnell sehr zerrupft ausschauen. Da braucht es einen anderen Mut als in Hollywoodfilmen. Es braucht die Kraft, seine eigene Unfähigkeit auszuhalten. Und das in einem geradezu winzigen Massstab.

Der Ehrlichkeit halber muss ich gestehen, dass ich manchmal einfach alles hinschmeissen möchte, weil ich diese eine Tasse, die ich seit einem halben Jahr auf der Drehscheibe machen will, einfach nicht so hinbekomme, wie ich sie gezeichnet habe. Dann schaue ich mir die perfekten Fotos der Werke meiner Freundinnen an, und gehe sofort ins Bett. Keine Chance- so genau, so feinfühlig werde ich nie im Leben mehr drehen lernen! Die Selbstzweifel können sehr schlimm sein. Es kann Tage dauern, bis man sich wieder an den Arbeitstisch wagt, und Wochen, bis die gemeinte Tasse wieder ein Dutzend Mal verfehlt wird. Da gibt es nur eines- durchatmen, und Geduld haben wie ein Chirurg…

altgriechisch χειρουργία chirurgía „Handarbeit“
— https://de.wikipedia.org/wiki/Handwerk