ASTRID ZWICK

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Wie entsteht eine Vorstellung ?

Wie kommt man zu einer Vorstellung, was man überhaupt für einen Gegenstand machen will ?

In diesem Artikel geht es schlicht und einfach um das, was sich Menschen einbilden können. Von sehr abstrakten Ideen einmal abgesehen, verfügen menschliche Gehirne über die sensationelle Fähigkeit, sich Dinge vorzustellen, die es noch gar nicht gibt. Wenn ich Ihnen also sagen würde: “stellen sie sich einen Hut vor!”, so hätten sie augenblicklich ein Bild einer Kopfbedeckung vor sich, ob es sich um einen Strandhut aus Stroh oder einen dicken Filzhut für die Wanderschaft handelt, ganz egal.

Wir schaffen es aber auch, uns noch ganz anderes vorzustellen. Etwa: unsichtbar zu sein, uns durch das Weltall beamen zu lassen, oder auf dem Mars leben zu können. Vorstellungen sind für uns ganz normal. Wir gehen auch in geselligen Runden davon aus, dass unser der Nachbar neben uns ebenfalls über diese Gedankenfunktion verfügt.

Wir Keramiker:nnen können ohne die Fähigkeit uns etwas auszudenken gar nicht existieren. Freilich gibt es auch Momente wo unsere Hände einfach durch Zufall eine Art Eigenleben entfalten, aber darauf möchte ich noch genauer eingehen.

Wie kann es sein, dass beispielsweise Steve Jobs mit seinen Kollegen eine Idee von einem Kommunikations.Apparat gehabt hat, den alle Menschen auf der Welt heute kennen- das Smartphone?

Wie bei jeder anderen Erfinder:n oder Keramiker:n auch, gibt es verschiedene Wege, wie Ideen entstehen.

Handwerker:nnen sind manchmal bei der Reproduktion (zum Beispiel ihrer eigenen Tassen) mit der Aufgabe beschäftigt, einen Gegenstand so genau wie möglich zu imitieren. Wie geht das? Ausgangspunkt ist etwas Gesehenes, was einen dazu inspiriert, dieses Ding nachzumachen. Wir kennen das alle: Jemand zeigt uns entweder live oder auf youtube , wie man etwas macht. Wir besorgen uns die dazu nötigen Ausgangsmaterialien, befolgen die Arbeitsangaben, legen los. Fertig, die Sache schaut exakt genauso aus, wie wir es in der Demonstration gesehen haben. Der Fachbegriff für diese Art des neu geschaffenen Endproduktes wäre eine “Reproduktion”. Er wird häufig verwendet in der Kunstwelt, wir kennen ihn aber auch aus der Mode, der Malerei oder Bildhauerei. Keramiker:nnen verwenden diese Methode der Reproduktion häufig unter Verwendung der Schlicker-Giessmethode in eigens dafür angefertigten Gips-Hohlformen.

Bei der Variation haben wir es schon mit einem etwas kreativeren Prozess zu tun. Es handelt sich nicht mehr einfach um die Vervielfachung immer desselben Objektes. Man hat etwas gesehen und lässt sich davon inspirieren. In diesem Fall will man bewusst etwas eigenes daraus machen. Keramiker:nnen beschäftigen sich besonders im Bereich der Gebrauchskeramik ununterbrochen mit der Variation immer der selben Gegenstände: Krug, Becher, Behälter, Teller. Seit dem Neolithikum verpassen Töpfer.nnen dem Geschirr ein modernes Gesicht. In der Musikwelt wird Der Begriff “Variation” ebenfalls verwendet. Die grossen Komponisten aller Zeiten benutzen die Variationen eines musikalischen Themas. Eine Melodie wird leicht verändert, und bleibt immer noch erkennbar. Es wird entweder der Rythmus verändert oder die Töne. In der Re-Interpretation stecken komplexe Gedanken-Leistungen, die sowohl beim Schaffenden als auch dem Publikum neue Emotionen, neue gedankliche Verbindungen hervorruft. Das Reservoir, das gebraucht wird um zu neuen Ideen zu gelangen, wird vergrössert.

Die Idee kann aus dem eigenen Inneren kommen. Sie entspringt der Phantasie. Menschen verfügen über die erstaunliche Fähigkeit, quasi aus dem Nichts heraus eine Vorstellung von etwas zu erschaffen. Das Hirn selber produziert diese aus der biologischen Hirnstruktur, die individuell einzigartig ist, und bei jedem Menschen verschieden. Ideen bergründen sich auf früheren Erfahrungen, auf gesehenen Bildern, erlebten Stimmungen, erfahrenen Berührungen. Ein sehr klares Beispiel von reinen Ideen sind etwa Träume. In der Gedankenwelt entstehen im Schlaf ganz spontan neue und bisher nicht existierende Bilder. Es kommt also vor, dass man am Morgen aufwacht mit einer ganz neuen Idee.

Hans Arp, der von 1886-1966 gelebt hat, war fasziniert von aus Buntpapier ausgerissenen Formen, die er auf den Fussboden gestreut hat. So wie sie liegenblieben, in ihrer zufälligen Anordnung, hat er sie festgeklebt. Die so entstandenen Ergebnissen boten eine unerschöpfliche Vielfalt abstrakter Kunstwerke. Das Ergebnis ist nicht direkt beabsichtigt. Wobei man auch nicht sagen kann, sie seien ungewollt. Vielleicht stimmt am ehesten, dass durch Zufall entstandene Dinge einer selektiven Kritik unterworfen werden, die entweder zu Annahme oder Ablehnung führt.

Dieses Foto zeigt das Schloss, in dem der von mir sehr bewunderte Film “Les Choristes” gedreht wurde. Es war eine falsche Abzweigung, die uns bei der Heimfahrt von unserem Familienurlaub 2014 an diesen besonderen Ort führte.

In der künstlerischen oder handwerklichen Arbeit ist es nichts anderes. Ein falscher Handgriff, und das Ergebnis ist so verändert, dass man nicht mehr von einer Wunschvorstellung reden kann. Es entsteht etwas völlig Neues, Ungeplantes, Unvorhergesehenes. Irrtümer finden wir selten lustig, aber wenn wir die Phase des ersten Erschreckens aushalten, bereichern sie unser Leben mit. Irrtümer sind eine Herausforderung, die wir auf jeden Fall untersuchen sollten, ob sie es nicht wert seien, aus ihnen etwas Wunderbares zu machen!

Dieser Text basiert auf dem von mir geführten Interview mit Prof. Dr. Patrik Michel, CHUV, Lausanne

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